Clea Stracke und Verena Seibt
CLEA STRACKE
1982 in Berlin geboren
2001-07 Studium an der Akademie der Bildenden
Künste München bei Enzo Toffolutti und
Norbert Prangenberg
2004 Nuova Accademia di Belle Arti, Mailand
2005 Hochschule für Bildende Künste Hamburg
bei Raimund Bauer
2009 Diplom Akademie der Bildenden Künste
München
VERENA SEIBT
1980 in Dachau geboren
2001-08 Studium an der Akademie der Bildenden Künste
München bei Albert Hien und Stephan Huber
2004 Akademie der Bildenden Künste Wien bei Heimo Zobernig
ab 2008 Kuratorische und künstlerische Mitarbeit im
Lothringer 13, München
2009 Diplom Akademie der Künste München
AUSZEICHNUNGEN:
2008 Projektförderung des Akademievereins
2009 Diplompreis der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung
Start Point Preis, Galerie Klatovy/Klenová, CZ
Projektstipendium für Bildende Kunst der Stadt München
AUSSTELLUNGEN (Auswahl):
2008 Erfolg durch Rebellion, Espace Ubu, Barcelona,
ES Stadtmachtkunst, public space, Linden, Hannover
2009 Mehrwert Kunst, Screening, Frankfurter Kunstverein
26. Dokumentarfilm- u. Videofestival Kassel
Uncouscious, Galerie Steinle, München
Self-Made Cavalecaders, Art´s Complex, Edinburgh, GB
Wunderkammer, Färberei, München
Schön, Rathausgalerie, München
2011 im KUNSTRAUM SCHWIFTING wird der Film UNTERWELT
im Rahmen der Ausstellung LEBENSRÄUME gezeigt
Unterwelt / Verena Seibt / Clea Stracke
Video / 8:50 min.
Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol.
Wer unter die Oberfläche geht, tut es auf eigene Gefahr.
Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray, Vorrede
Einige Meter unterhalb der Häuser und Straßen und Plätze beginnt das andere Leben.
Durch graue Erdschichten gräbt sich die Kamera in eine labyrinthische Dämmerzone aus
Gängen, Schächten, Gewölben, die wie adriges Wurzelwerk die Stadt unterhöhlen.
Bibliotheksmagazine gleiten vorüber und Archive, in denen Seltsames steht, der
kathedralartige Saal eines Trinkwasserreservoirs, Waschküchen, Kellerabteile in gelblichem
Lampenschein. Die Welt oben dringt nur gedämpft und gefiltert hierhin: als blasser
Lichtstrahl, der durch irgendeine Ritze tropft, als leises Orgelspiel, das von weit in die Stille
einer Krypta geweht wird. Dann schneidet der Beat eines Clubs herein, das Stampfen von
Füßen; später bleiben nur mehr die feinen, flüsternden Geräusche raschelnden Papiers oder
einer knarzenden Tür, das Pochen und Summen unbekannter Maschinen, ein Rauschen im
Dickicht der Röhren und Leitungen, das Glucksen und Gurgeln der Kanalisation.
Dazwischen vereinzelt menschliche Spuren, Zeichen der Abwesenheit: eine zitronengelbe
Kugel, die auf einer verlassenen Kegelbahn wie von Geisterhand bewegt krachend in die
Vollen fährt; ein kleiner Lastwagen, der um die Dorfstaffagen und die versteinerten
Kunststofffigürchen einer Modelleisenbahnlandschaft kreist; eine Jukebox, die im
holzvertäfelten Hobbyraum ein letztes Lied spielt und verstummt. Die Dinge unter Tage sind
allein und schläfrig; nur manchmal weckt sie ein Schatten, ein Wispern. Ihre Zeit scheint
angehalten, als würden sie nicht mehr der Gegenwart angehören, ohne ganz verschwunden
zu sein.
Das alles ist wirklich und unwirklich zugleich. Die Arbeiten Verena Seibts und Clea Strackes,
ihre Filme ebenso wie ihre installativen Ortsbesetzungen, balancieren auf dem schmalen
Grat zwischen Dokumentation und Narration. Sie schaffen imaginäre Räume, indem sie
suchend, tastend, staunend, sezierend und verfremdend in reale Räume eindringen. Sie
entdecken Orte – und das heißt ja im ganz wörtlichen Sinn: dass sie etwas fortnehmen, das
diese Orte bis dahin verhüllt und verborgen hatte. Es ist eine archäologische Arbeit, die
Verschüttetes zum Vorschein bringt, dabei aber, statt das Gefundene restlos zu klären,
Unschärfen und Geheimnisse als Stachel für die eigene Vorstellung stehenlässt.
So bleiben auch die Bilder, an denen man sich in der Unterwelt entlangtastet, ambivalent.
Für einen Moment ziehen Ausschnitte aus einem möglichen Leben vorüber, Geschichten
blitzen auf – und werden wieder sich selbst überlassen. Das Geschehen ist offen in die
Vergangenheit wie in die Zukunft, weil man nicht sagen kann, an welcher Stelle der
Erzählung man sich befindet: am Anfang von etwas, das noch kommt, oder am Schluss von
etwas, das schon vorbei ist. Und die losen Enden dieser fragmentarischen Episoden hängen
wie Köder aus der fiktiven Welt in die echte.
Vielleicht ist es ja genau das, was uns bei dieser endoskopischen Expedition nervös werden
lässt: dass diese urbane Unterwelt auch unsere eigene sein könnte: ein Lager, in dem
Halberinnertes und Halbvergessenes abgelegt wird, ein Speicher für vorläufig
Ausgesondertes, Erledigtes, Abgeheftetes, Eingemachtes, ein Ort für das, was brauchbar
ist, aber vorerst nicht benötigt wird – oder das, was noch einmal gefährlich werden könnte,
aber anders nicht zu entsorgen ist. Wir ahnen, dass eine Probebohrung unter die eigene
Haut auf ähnlich Unverdautes, Ungeklärtes, Nichtbereinigtes stoßen würde – und dass auch
das provisorisch Wegsortierte unserer persönlichen Unterwelt ein nicht völlig kontrollierbarer
Sprengsatz ist, der irgendwann hochgehen könnte.
Christian Hartard